Krafttraining versus Ausdauertraining?

Märchen aus der Sportmedizin

Werbung eines bekannten Anbieters einer Billig-Fitness-Kette: „Entfernt wurden [aus dem Fitness-Center] auch die Ausdauergeräte wie Fahrräder und Laufbänder. 30 Minuten kreislaufwirksames Training auf dem Laufband erschöpft zu sehr, um danach ein intensives Krafttraining absolvieren zu können. Genauso bleibt nach einem intensiven Krafttraining zu wenig Energie für ein Herz-Kreislauf-Training übrig. Beides, Herz-Kreislauf-Training und Krafttraining sind wichtig. Aber sie gehören nicht zusammen. Herz-Kreislauf-Training draußen an der frische Luft ist ohne Zweifel sinn- und lustvoller als in geschlossenen Übungsräumen.“

Institut für Sportdiagnostik: Kein Sportler, ob Techniker (Kugelstoßen, Diskus, Speer etc.), Läufer oder Zehnkämpfer (mit Kraft- und Ausdauertrainingsformen) würde auf den Gedanken kommen, sein Krafttraining ohne eine allgemeine Aufwärmung durch ein entsprechendes Herz-Kreislauf-Training zu beginnen. Der physiologische Hintergrund liegt bekanntlich in einer Optimierung der organischen und neuro-muskulären Leistungsbereitschaft. Die Empfindlichkeit der Muskelrezeptoren hängt ebenso wie die Geschwindigkeit nervaler Impulse maßgeblich von einer Zunahme der Temperatur der Körpergewebe ab (Hollmann u. Hettinger, Sportmedizin, Grundlagen für Arbeit, Training und Präventivmedizin, 4. Auflage, Schattauer, 2000).

Ferner kann ein 30-minütiges kreislaufwirksames Training auf dem Laufband keinesfalls erschöpfen, wenn es im aeroben Grundlagenausdauerbereich durchgeführt wurde. Umgekehrt kann auch ein intensives Krafttraining nicht diejenigen Energieressourcen, nämlich Fette und Kohlenhydrate, aufbrauchen, die für ein Herz-Kreislauf-Training als Cooldown notwendig sind.

Ein Herz-Kreislauf-Training ist aufgrund seiner hohen gesundheitlichen Bedeutung zur Bekämpfung der mannigfaltigen Zivilisationserkrankungen mit dem Herzinfarkt als Todesursache Nr. 1 aus dem Fitnesscenter nicht wegzudenken.

Werbung: „30 Minuten genügen: Unser Programm ist deshalb so effektiv, weil wir uns auf das Wesentliche konzentrieren. Daher benötigen Sie lediglich 30 Minuten, ein- bis zweimal die Woche, für das Training des ganzen Körpers.“

Institut für Sportdiagnostik: Bei einem ein- bis zweimal pro Woche durchgeführten Trainingsreiz von kurzer Dauer (30 min), besonders für den ganzen Körper, können sich keine nennenswerten Anpassungserscheinungen des Körpers einstellen, diese Meinung widerspricht jeder seit Jahrzehnten bekannten Erkenntnis aus der sportmedizinischen Trainingslehre (siehe auch unsere Literatur).

Es entsteht vielmehr der Eindruck, dass die Philosophie dieser Fitness-Kette darauf abzielt, dass sich ihre Kunden möglichst kurz im Fitnesscenter aufhalten sollen, damit viele durchgeschleust werden können und/oder, dass dem Fitnesskunden vorgegaukelt wird er müsse nur ein- bis zweimal pro Woche (eine halbe Stunde) trainieren, um seine Ziele erreichen zu können. Welcher unbedarfte Mensch findet diese Aussage nicht äußerst reizvoll und vielleicht wird dadurch der Vertragsabschluss ein kleines bisschen einfacher?

Am 23. Dezember 2001 erhielten wir per E-Mail von Herrn Kieser persönlich eine Antwort auf unsere Anmerkungen und möchten diese ungekürzt wiedergeben:

„Mir wurden Ihre Äußerungen zu ‚einem bekannten Anbieter einer Billig-Fitnesskette‘ übermittelt. Wenn Sie wirklich kritisch sein wollen, bin ich zu einem wissenschaftlichen Diskurs gerne bereit. Ich lege Ihnen die Studien vor, auf welchen die Aussagen in den Texten von Kieser Training basieren. Im Gegenzug zeigen Sie uns auf, worauf Sie sich stützen. So ist es üblich in der Wissenschaft. Auf den Tisch mit den Fakten statt im Dunkeln zu munkeln (bzw. im Netz zu schwafeln). Dass einige Studiobetreiber angesichts des Erfolges von Kieser Training in Europa in Zugzwang geraten, ist nicht neu. Interessant ist jedoch für mich immer wieder, wie unterschiedlich darauf reagiert wird. Es gibt glücklicherweise einige, bei denen das wissenschaftliche Interesse ihren Studiumsabschluss überdauerte (bzw. die Neugierde stärker ist als der Neid), und die deshalb unter Nennung ihres Namens persönlich anfragen, auf welche Daten wir unsere Aussagen stützen. Das würde ich Ihnen auch empfehlen. Prüfen statt ‚raunzen‘ (C. Popper).

(In unseren früheren Werbematerialien haben wir zu den Statements die entsprechenden Studien aufgeführt, bis wir erfahren mussten, dass dies - das Nennen von Studien - in der Werbung in Deutschland, als einzigem Land der Welt, verboten ist).

Zu Ihrer Information: Kieser Training ist kein ‚Fitnesscenter‘, sondern ein auf die Lösung von Kräftigungsproblemen spezialisiertes internationales Unternehmen. Wir bieten zwei Dienstleistungen: Präventives Krafttraining und medizinische Kräftigungstherapie, letztere speziell für chronische Rückenpatienten und Osteoporosepatienten. Die Präventions-Abteilung wird von dipl. Sportwissenschaftlern geleitet, MKT von Ärzten, meist Orthopäden. Ausgeführt wird die Therapie von Krankengymnasten oder Sportwissenschaftlern mit Zusatzausbildung. Kardiovaskuläres Training halten wir für wichtig und empfehlen es. Um die für einen kardiovaskulären Trainingseffekt notwendige Pulsfrequenz zu erreichen, benötigt man jedoch weder ein Studio noch Geräte, sondern vor allem frische Luft. Solche zu verkaufen, vermochte ich mich bislang nicht durchzuringen, denn es gibt sie glücklicherweise (noch) gratis.

Freundliche Grüße

Werner Kieser“

Institut für Sportdiagnostik: Auch hierauf möchten wir natürlich reagieren:

Die Qualität der Antwort von Herrn Kieser entspricht derjenigen seiner Einrichtungen: Offensichtlich hat Herr Kieser es versäumt, die Literaturliste des Instituts anzuschauen, um festzustellen, dass hier viele eigene Untersuchungen und Ergebnisse in nationalen und internationalen Zeitschriften publiziert wurden und werden. Darüber hinaus sprechen die mehrfachen Zitate der eigenen Befunde im Standardwerk aller Sportmediziner und -wissenschaftler (Hollmann, W., Hettinger, Th., Sportmedizin, Grundlagen für Arbeit, Training und Präventivmedizin, 4. Auflage, Schattauer, 2000) eine deutliche Sprache. Dieses Werk empfehlen wir ihm übrigens dringend, um das auf einen deutlichen Trainingserfolg ausgelegte Mehrsatztraining im Gegensatz zu einem kommerziell orientierten, da zeitsparenden Einsatztraining, kennenzulernen. Dies erscheint besonders wichtig, da Ihre Unternehmen ja auf Kräftigungsprobleme spezialisiert sind. Oder führen Boxer beim Bankdrücken nur einen Satz durch?

Zum Thema Ausdauertraining weiß jeder Mann und besonders jede Frau, dass in den Wintermonaten, nach Büroschluss ab 17 Uhr, wegen der Dunkelheit und ihren Risiken und der Witterung ein Outdoortraining problematisch ist. Um die wichtigste Todesursache Nr. 1 zu bekämpfen, müssen wir deshalb dafür plädieren, dass alle Sporteinrichtungen über entsprechende Cardiogeräte verfügen, um diesem Ereignis und anderen Zivilisationskrankheiten vorzubeugen.

Es gibt natürlich Firmenphilosophien, die auf die Reduktion von Quadratmetern und damit Miet- und Kostensenkung ausgelegt sind und damit wesentlich profitabler arbeiten können. Diese sogenannte Profitabilität zahlt sich aber nur sehr kurzfristig aus, denn wir leben alle von einer langen, zufriedenen und zielorientierten Kundenbindung.

Zitat aus Stiftung Warentest, Ausgabe 1/04 (Leserbrief):

Verboten

Die Instruktoren der Kieser-Studios schreiben vor, dass man an einem Gerät nur einen „Satz“ von maximal 90 Sekunden trainieren soll. Mein Orthopäde und mein Physiotherapeut haben angeordnet, die Übungen auf drei Sätze zu erhöhen. [Institut für Sportdiagnostik: Sehr sinnvoll!]. In dem von Ihnen geprüften Kieser-Studio in München machte mir eine Trainerin klar, dass das bei Kieser nicht erlaubt sei. Trotz meines Hinweises auf den Rat des Arztes erklärte sie mir, Mehrsatztraining sei verboten. Später verweigerte mir die Trainerin die Rückgabe meiner Kieser-Karte und legte mir einen Aufhebungsvertrag vor.

Volker Krätschmar (per E-Mail an Stiftung Warentest).